Der Airbus setzte so komfortabel wie der gesamte Flug gewesen war auf der Rollbahn des Indira-Gandhi-International Airport auf.
Und sogleich schlug Murphy`s Law zu… Wir stellten uns in eine Reihe der E-Visa Schalter an. Ob es Zufall war oder schlechtes Karma war schwer zu sagen, aber wir waren mit unter die Letzten, die an den insgesamt 12 Schaltern abgefertigt wurden. Unter anderem war der Fingerabdruck-Scanner schuld, der bei jedem Einreisenden eine extra Runde Fingerabdrücke nehmen wollte, aber auch die extrem schnelle Arbeitsweise des indischen Beamten. Das ist wohl überall auf der Welt gleich!
Wie dem auch sei, irgendwann kamen wir dann zum Kofferband, das schon komplett leergeräumt war und sammelten unsere Koffer daneben auf. Hört sich komisch an, ab der Flughafen scheint nicht genug Kofferbänder zu haben, denn sobald der Großteil des Gepäcks abgeholt worden war, stellen die Angestellten die verbliebenen Stücke einfach neben das Band, um Platz für die nächste Maschine zu machen…
Aber ab dann begann unsere Odyssee richtig!
Es war mittlerweile 2:30 Uhr nachts, unser Zug nach Agra sollte um 5:15 Uhr abfahren. Da wir keine Lust auf Warten hatten, wollten wir uns ein Taxi nehmen, das uns zum Hauptbahnhof bringen sollte. Als wir das Flughafengebäude verließen schlug uns eine Luft entgegen, die kaum zu bestimmen war. Zum einen war es schwül, in der Luft hing Smog und ein Hauch von Urin… Schwer zu definieren… Viel schlimmer war aber, dass beim öffnen der Türen gleich eine ganze Horde Taxifahrer auf einen eingestürmt kamen, um ihre Dienste anzupreisen. Taxifahrer, die auch nicht locker lassen, wenn sie das 20. NEIN gehört haben…
Dem Reiseführer und einen freundlichen Militärangehörigen sei Dank, erfuhren wir schnell, dass eine Taxifahrt am Besten mit dem Prepaid-Schein funktioniert. Bei diesem Prinzip kauft man ein Ticket zum gewünschten Ort, das man solang in der Hand behält bis man am Zielort angekommen ist. Danach händigt man den Schein dem Taxifahrer aus, er fährt zurück und tauscht den Schein gegen Bargeld. Echt umständlich, aber der sicherste Weg, nicht abgerippt zu werden.
Wobei es da auch Möglichkeiten gibt. Als wir zum Schalter kamen sagte der Typ es würde 470 Rupien, also 7 Euro ungefähr kosten. Das erschien mir ein bisschen hoch und ich wollte meinen neuen, gerade aus dem Automat gekommenen Geldschein wieder haben. Den gab er mir aber nicht, sondern einen total zerknüllten, den er mit einer blitzschnellen Bewegung getauscht hatte. Da ich gelesen habe, dass man NIEMALS solche Scheine annehmen sollte, da man sie nicht mehr los wird, fing ich an zu diskutieren, dass ich MEINEN Schein wieder wollte. „Das wäre meiner…“!
Nach wiederholtem Fordern gab er mir MEINEN Schein dann zurück. Aber extrem widerwillig… In diesem Land muss man jede Sekunde auf der Hut sein!
Die Taxifahrt war… – sagen wir – außergewöhnlich. Dass es in einem Taxi keine Gurte gibt oder der Fahrer fährt, als wäre er auf Speed, das sind wir ja schon gewohnt. Aber das ganze in Kombination mit:
-Fahrzeug aus den 60ern
-kein Licht an
-keine Rücksicht auf andere Fahrzeuge
-teilweise Benutzung der falschen Straßenseite
-kein Licht an anderen Fahrzeugen inkl. LKW
Der beste Momente war der, als er mitten auf einer dreispurigen Straße während voller Fahrt seine Tür aufmacht und aus dem Fahrzeug nach hinten geschaut hat, wahrscheinlich um zu checken, ob noch alle Räder dran sind.
Das hat die Fahrt sehr interessant gemacht und uns einige Momente beschert, die unsere Müdigkeit direkt mal wieder vergessen hat lassen.
Als wir am Hauptbahnhof in Delhi ankamen, meinten wir, wir betreten ein Krisengebiet. Der Bahnhof hätte auch der von Mogadischu sein können…
Ein Hauptgebäude, abgeranzt und zerlöchert, darum lauter Menschen, die auf Lumpen auf dem Boden lagen, allgegenwärtig der Geruch nach Urin. Die Haupthalle hätte auch ein Flüchtlingscamp im Nahen Osten sein können, die Tafel mit dem ankommenden und abfahrenden Zügen funktionierte nur halb.
Natürlich kam direkt ein freundlicher Herr auf uns zu, der uns fragte wohin wir wollten und mit welchem Zug. Wir sagten ihm unsere Zugnummer und er teilte uns mit, dass unser Zug ausgefallen ist, er uns aber natürlich auf der Suche nach einem neuen Zug sehr gerne behilflich ist.
Was haben wir nicht vorher von Schleppern in Delhi alles gelesen… Dass sie einem sagen, das Hotel sei ausgebucht, nur damit sie einen in eine andere Unterkunft bringen, wofür sie natürlich Provision erhalten… Oder eben, dass der Zug ausgebucht oder ausgefallen sei. Damit man umbucht und sie eine saftige Bearbeitungsgebühr drauf schlagen konnten. Aber nicht mit uns!!! Wir sagten dem Schlepper, dass wir jetzt in das echte Touristenbüro am Bahnhof gehen würden. Er meinte nur das sei aber geschlossen.
Ein hoch auf das Internet, auch daher wussten wir, dass das eine Lüge war… Es hat 24 Stunden 7 Tage die Woche geöffnet!
Wir also Sonntags morgens um halb 4 ins Touristenbüro am Bahnhof, den schlafenden Angestellten geweckt und versucht, ein Ticket für einen anderen Zug klarzumachen… Unser Zug war tatsächlich gecancelt worden, zumindest damit hatte der Schlepper recht.
Auch wenn man es nicht glaubt, eigentlich lief es ganz gut und wir bekamen zwei Plätze in einem Zug um 6 Uhr früh.
Mit unseren frisch erworbenen Tickets verließen wir das Büro und gingen einmal ums Eck um uns zu sortieren. Alle Hände waren voll mit unseren Papieren, den alten Tickets, den neuen, unseren Pässen… Wir standen also im ersten Stock mit Blick auf die Wartehalle und den gefühlt tausenden schlafender Menschen. Und die Wenigen die wach waren glotzten uns an, als wären wir Außerirdische. Der Geruch nach „Pisse“ war unerträglich und als wir den Rucksack abstellen wollten um alles wieder einzuräumen hätten wir ihn beinahe in einen breitgetretenen Haufen Kacke gestellt. Und das war kein Hundehaufen!!!
Uns reichte es schon jetzt!
Wir gingen zum Bahnsteig und bereits um viertel vor 6 Uhr fuhr der Zug überpünktlich ein. Wir suchten uns unsere Plätze und waren froh erst mal sicher zu sein. Neben uns saß ein wirklich freundlicher Mann aus Mumbai, den wir mit Fragen löcherten. Er half uns mit wirklich tollen hilfreichen Tipps!
Es gab sogar ein kleines Frühstück im Zug. Im Vergleich zu dem im Flieger stank es ganz schön ab, aber irgendwie war es schon lustig.
Zwei Stunden später kamen wir pünktlich in Agra an. Eigentlich hatten wir eine Abholung arrangiert, aber da wir ja nun mit einem anderen Zug kamen, war natürlich niemand da. Also mussten wir zum zweiten Mal an diesem Tag, nach bereits solch einer Nacht uns um ein Taxi kümmern.
Wir verließen den Bahnhof und was uns erwartete überstieg unsere Vorstellungskraft. Da war der Flughafen Delhi ein Witz dagegen!
Es wird von Stunde zu Stunde schlimmer, keine Ahnung wo das noch hin führen soll…
Wir kamen also aus der Bahnhofshalle und auf uns warteten hunderte, kein Witz, hunderte wild schreiender und gestikulierender Taxi- und Rikschafahrer. Alle schrien uns, bzw. jedem halbwegs westlich aussehenden Touristen ihre Preise zu und dass man doch mit ihnen fahren solle!
Abgehalten wurde die Meute bloß von ein paar Kalaschnikows in den Händen der Polizei, die penibel darauf achtete, dass keiner eine imaginäre Linie überschritt, die den Bahnhofsvorplatz begrenzte.
Wir also raus, gefühlte12000 mal NEIN gesagt und zum Taxi-Prepaid-Schalter, um die Fahrt ins Hotel zu buchen. Uns wurde ein wenig der Rücken von einem sehr zuvorkommenden, wir nehmen mal an Stadtangestellten frei gehalten, der uns half zum Schalter zu kommen und uns bei allem Weiteren behilflich war. Anscheinend schaut die Regierung penibel genau darauf, welche Taxen und Rikschas schwarz, bzw. viel zu teure Preise für Touristen anbieten.
Wir wählten diesmal eine Motorrikscha für den Transport ins Hotel, ob das eine gute Idee war, bleibt abzuwarten.
Ein Gefährt mit drei Rädern ist schlechter als eines mit Vier, aber damit fahren wollte ich schon immer mal. Also rein in das Teil, Gepäck verstaut und ab ging es.
Auch diese Fahrt war… interessant…
Mit dem Leben davon gekommen erreichten wir das Hotel, luden aus, überreichten dem Fahrer den Prepaid-Schein und wollten gerade rein, als er uns anbot, für einen Festpreis den gesamten Tag unseren Fahrer zu spielen und uns alle Sehenswürdigkeiten zeigen.
Wir handelten ein bisschen rum (im Nachhinein stellten sich heraus nicht genug ;)) und wurden uns schließlich einig. Er sollte uns in zwei Stunden vom Hotel abholen.
In der Zwischenzeit checkten wir ein, duschten und machten uns frisch, packten aus und erholten uns ein wenig vom Chaos dieser Nacht.
Pünktlich 10:30 Uhr stand unser Fahrer mit seinem Höllengefährt vor unserem Hotel und die Tour begann.
Erster Anlauf war das Agra Fort. Den Ort erreichten wir mit NUR 2x auf der falschen Straßenseite fahren (mit steinerner Mittelleitplanke), ca. 4 Beinaheunfällen beim Abbiegen und mindestens einem Treffen auf ein neben uns fahrendes Auto. Ganz zu Schweigen von dem permanenten Hupen aller am Verkehr beteiligten Fahrzeuge samt Fahrräder… Der Lautstärkepegel lag weit über dem erträglichen.
Aber egal, wir waren da, das Fort lag vor uns.
Kurz zur Geschichte: Nachdem Shah Jahan das Taj Mahal für seine verstorbene Lieblingsfrau Mumtaz Mahal hatte bauen lassen wurde der amtierende Herrscher von seinem Sohn abgesetzt und im Roten Fort von Agra für den Rest seines Lebens unter Hausarrest gestellt. Sein Zimmer bot ihm immer einen Blick auf seine ewige Liebe in ihrem marmornen Grab.
Das Fort ist riesig und natürlich gut gesichert. Jeder durchläuft zu Beginn eine Sicherheitskontrolle, wo man erst mit Metalldetektor wie am Flughafen abgefahren und danach sogar abgetastet wird. Anscheinend ist aber das indische Verständnis von Sicherheit ein anderes als bei uns. Ich hatte die ganze Zeit mein Taschenmesser in der Hosentasche. Keiner hatte es gemerkt oder war zu faul es merken zu wollen!
Als wir drinnen waren fiel uns nach einiger Zeit immer wieder mal auf, dass Handys auf uns gerichtet wurden. Irgendwann bemerkten wir, dass wir wohl fotografiert wurden und als wir uns zur Erholung kurz auf eine Bank setzten war es vorbei mit der Ruhe. Zuerst kam ein Inder und fragte, ob er ein Bild mit Sarah machen dürfte, dann der Nächste… und der Nächste…
Gefühlt jeder Inder im Umkreis von 100 Metern kam und wollte ein Foto haben. Da wird dann auch mal nicht gefragt. Einer setzt sich neben einen auf die Bank, der andere stellt sich press vor dich, macht ein Foto, dann wird getauscht der zweite bekommt auch noch ein Foto mit der „Fremden“. Dann zischen sie wieder ab.
Mittlerweile standen die Leute Schlange um ein Foto zu bekommen.
Wir waren völlig perplex und überfordert mit der Situation und machten uns vom Acker.
Wir zogen weiter durch das Rote Fort, immer war irgendwo ein Handy auf uns gerichtet. Das war so unheimlich, dass wir unseren Rundgang abkürzten und uns schnellstmöglich verzogen…
Wir verließen das Agra Fort und gingen zurück zu unserem Rikschafahrer. Wir machten uns auf den Weg zu unserem nächsten Punkt, dem Baby Taj. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass die Fahrt nicht minder haarsträubend war als die letzte, aber langsam bekamen wir ein Gefühl für die Fahrweise und es begann sogar ein bisschen Spaß zu machen.
Am Baby Taj angekommen mussten wir uns erst einmal erleichtern, da passierte eine Geschichte, die den gesamten Tag wieder rum riss.
Ich war gerade auf der Toilette, Sarah wartete auf einer Bank davor. Da kam ein kleines Mädchen zu ihr, vielleicht 3 Jahre alt. Sie stellte sich vor sie, hob ganz langsam die Hand und berührte mit ihrem Finger ganz sanft ihr Piercing in der Lippe. Dabei schaute sie Sarah fasziniert an, lachte dann und lief zurück zu ihrer Mutter. Der erste Schritt zur Verständigung zwischen uns und den Indern war getan!
Über das Baby Taj, oder genauer das Itimad-ud-Daula gibt es nicht viel zu erzählen. Es ist im Reiseführer als der Geheimtipp angegeben, „ein Juwel islamischer Baukunst in Indien“. Ohne Frage ist es schön, gebaut aus weißem Mamor und mit seinen vier Minaretten hat es eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Taj Mahal, was natürlich zu diesem Spitznamen führte. Ansonsten nicht gerade spektakulär.
Spektakulärer war aber der Ausblick in das fast leere Flussbett des Yamuna, in dem Kinder in der größten Kloake spielten, die ich in meinem Leben je gesehen habe. Überall lag Müll oder schwamm in den letzten verbliebenen Resten des Flusses. Ein erbärmlicher Gestank wehte herauf und als uns die Kinder bemerkten, fing sofort an uns die Hände entgegenzustrecken und zu Betteln!
Also nix wie weg und weiter zum nächsten Punkt auf der Liste. Futter!
Wir fuhren in ein kleines indisches Restaurant, es gab Chicken-Curry und Nan (Fladenbrot), für umgerechnet 9 Euro inklusive Getränke… Für alles zusammen!
Als letzter Punkt unserer Tagestour wollten wir natürlich auch mal das richtige Taj Mahal aus der Nähe sehen. Wir wollten zum Sonnenuntergang auf die andere Seite des Yamuna Flusses, ein Geheimtipp wiedermal. Man ist ganz nah dran und das ganze für Umme!
Wir schickten also unseren Fahrer dort hin. Auch er erklärte uns nochmal: Entweder wir gingen in die Gärten „Mehtab Bagh“, die bis runter zum Fluss führen, aber knapp 1,30 € Eintritt kosten, oder wir gingen den Weg daneben runter. Er führt auch bis zum Fluss. Wir gingen also den Weg runter und standen vor einer Absperrung. Alles abgeriegelt, angeblich wegen Terrorgefahr.
Geheimtipp also adé.
Wir zahlten dann doch den Eintritt und spazierten ein bisschen in den Gärten herum, bis wir am Fluss raus kamen, aber noch durch eine Mauer davon getrennt. Auch hier gab es kein Durchkommen. Wir mussten also innerhalb dieses Gebiets bleiben und versuchten uns den besten Platz für den Sonnenuntergang zu sichern. Der war oben auf der Mauer. Dort warteten wir bis endlich die Sonne anfing sich dem Horizont zu nähern. Wir hatten noch fast 2 Stunden und waren so totmüde, dass wir andauernd einnickten. Wir waren ja bereits seit fast 40 Stunden wach.
Wie wir so da saßen und vor uns hin dösten, merkten wir, wie wieder andauernd irgendwelche Handys auf uns gerichtet wurden. Als wir es merkten wurden die Leute noch offensiver. Anstelle dass sie sich dann versuchten unbemerkt zu verdrücken oder abzulenken, wie wir es daheim machen würden, wenn wir jemanden fotografieren und er es nicht merken soll, kamen sie wieder in Scharen und wollten ein Bild von sich und Sarah. Aber nicht wie man vielleicht denkt, dass es nur Männer waren. Im Gegenteil. Das meiste waren Frauen und ganze Familien. Andauernd bekam Sarah ein anderes Kind auf den Schoß gesetzt und es wurden zig Fotos geschossen bis sie irgendwann sagte, dass es jetzt genug sei.
Zumindest haben wir so die Zeit überbrücken können und als endlich die Sonne unterging war die ganze Mauer voll mit Kameras. Und diesmal waren sie nicht auf Sarah gerichtet.