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Fahrt mit einem Chickenbus

Sie sind groß, sie sind laut, sie stinken. Man kann sie schon von weitem hören. Ihre Bremsen und die Jahrzehnte alten Blattfedern quietschen bei jedem Schlagloch und bei jedem Bremshügel.

Und wenn es nicht ihr Quietschen oder ihr permanentes Hupen ist, weiß man spätestens wenn der Beifahrer durch die durchgehend geöffnete Einstiegstür die Endhaltestellen durch die Straßen schreit, was da auf einen zugerollt kommt.

Es kann aber auch passieren, dass man nichts ahnend die Straße entlang läuft und urplötzlich in einer gewaltigen schwarzen Wolke steht…

Dann hat man unverhofft Bekanntschaft mit einem der legendären, lateinamerikanischen Chickenbusse gemacht.

In den meisten Ländern Zentralamerikas bilden sie einen Großteil des örtlichen Straßenbildes und sind das Rückgrat des städtischen Nahverkehrs. Bzw. auch Fernverkehres, denn es gibt kaum Orte, die diese Busse nicht anfahren und mit einander verbinden.

Ihr Name rührt von einem Gerücht her. Die Einen behaupten, dass ihr Name daher kommt, dass in ihnen alles transportiert wird, vom Huhn über jegliche Art von Tieren bis hin zu riesigen Getreidesäcken oder Fässern.

Die Anderen behaupten, der Name basiert auf der Tatsache, dass man in ihnen sitzt wie die Hühner auf der Stange, denn es gibt keine Maximalbegrenzung für ihre Insassen, es wird einfach reingestopft, wer rein passt.

Aber was ist ein Chickenbus überhaupt…

Wenn nach rund 120.000 Meilen ein amerikanischer Schulbus seinen Sold erfüllt hat und von der Regierung zur Versteigerung angeboten wird, rollte eine regelrechte Industrie an, die ihres Gleichen sucht.

Die Busse werden in den USA angekauft und nach Mittelamerika überführt. Und dort beginnt die Verwandlung in einen Chickenbus.

Im Normalfall ist einer oder mehrere dieser Busse im Besitz einer einzigen Familie, die beiden „Arbeitsplätze“ (ein Fahrer und ein Rufer) werden mit deren Mitgliedern besetzt und eine bestimmte Route angeboten.

Die Busse werden repariert, modifiziert, umlackiert und mit jedem erdenklichen Unsinn ausgerüstet, den man sich nur vorstellen kann.

Alles, was an dem Bus nicht knallbunt lackiert ist, glänzt in lupenreinem Chrom. Die gesamte Seite zieren die Namen der Frauen, Töchter oder Geliebten und bilden gleichzeitig den Namen des Busses. Die gelbe Originalfarbe ist gänzlich verschwunden, an ihrer Stelle leuchten rote, grüne, blaue oder neonfarbene Muster, die gesamte Karosserie ist mit LED-Leuchten gepflastert bis hin zur Bodenbeleuchtung. Im Dunkeln erinnern die Gefährte stark dem Coca-Cola-Truck aus der Weihnachtswerbung. Nur das man bald einen epileptischen Anfall bekommt wenn man einem solchen Bus nachts begegnet, weil alles glitzert, die Farbe wechselt oder blinkt.

Aber wenn man den Bus betritt, erwartet einen erst das wirkliche Highlight!

Egal ob Weihnachten oder nicht, die gesamte Frontscheibe ist mit Christbaumschmuck und Lichterkerzen behängt, der ehemalige Notausstieg am Heck der Busse ist ein Schrein für mexikanische Wrestler oder über und über mit Postern nackter Frauen beklebt. Eine gewaltige Anlage aus etlichen Boxen, die im gesamten Bus verteilt sind, beschallen einen mit lateinamerikanischer Volksmusik in einer derartigen Lautstärke, dass man meint, direkt an der Bühne bei einem Konzert zu stehen.

Wem das noch nicht reicht, der darf sich gerne in die erste Reihe setzen, da wird man auch noch zusätzlich von dem Endstationen-Rufer beschallt.

Man hat das Gefühl, dass diese Gefährte immer unter Zeitdruck gefahren werden, denn die Fahrer, die eigentlich immer nur eine Hand frei haben, da die andere permanent das Mobiltelefon am Ohr hält, rasen selbst durch die engsten Gassen in den kleinsten Dörfern mit einem Affenzahn, dass den alten Leuten am Straßenrand schon mal die Hüte wegfliegen, wenn die riesigen Geschosse an ihnen vorbeifliegen.

Auf den Überlandstraßen und Highways sind sie wie Kanonenkugeln, die auf eine Stadt abgeschossen werden. Jeder Bus versucht selbst die kleinste Lücke im Verkehr auszunutzen, um ja nicht langsamer werden zu müssen. Das gleiche gilt natürlich auch für den innerstädtischen Verkehr und wir hatten nicht nur einmal eine knallbunte Stoßstange auf Augenhöhe, die nur gefühlte Zentimeter vor uns zum Stehen kam und wir fast von den Dröhnen des Hornes weggeblasen wurden, dass uns aufforderte, doch bitte etwas schneller die Straße zu überqueren.

Wir hatten auf unserer Route des öfteren die Ehre, bzw. auch teilweise das Leid, einen solchen Bus benutzen zu dürfen, bzw. zu müssen.

Eine dieser Verbindungen war die Route von Panajachel am Lago de Atitlan zurück nach Antigua Guatemala über die weltberühmte Panamericana.

Außerdem war es unsere erste Reise mit einem solchen Bus.

Die Fahrt begann damit, dass uns lauthals schreiend das Endziel des Busses mitgeteilt wurde. Nachdem unser Gepäck auf dem Dach verstaut und gesichert (zumindest hofften wir das) wurde, stiegen wir ein und suchten uns einen Platz. Der Bus war fast leer, wir hatten eine Sitzbank für uns alleine. Niemand weiß, wie viele amerikanische Schulkinder schon vor uns auf dieser Bank saßen, aber wahrscheinlich wurde keines so zur Schule gefahren, wie wir bald nach Antigua.

Der Bus fuhr pünktlich los, und im Laufe seiner Fahrt durch die Stadt stiegen immer mehr Menschen hinzu. Dabei hielt der Bus niemals an, sondern machte immer nur langsamer und die Passagiere sprangen durch die geöffnete Tür. Dabei half ihnen der Rufer beim Einsteigen.

Lustig wurde es, als wir die Überlandstraße, also die Pan-Am erreichten. Da hatten wir dann das Gefühl, dass der Bus ein verstecktes Treibwerk dazu schalten würde, denn mit einem Mal ging ein Ruck durch das Gefährt und wir flogen quasi über den Highway. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass es das ein oder andere Schlagloch gab, was aber bei fast 120 km/h und einer Federung von über 50 cm vernachlässigbar ist. Man merkte die Einschläge kaum. Eher war man mehr damit beschäftigt, sich panisch an den Haltegriffen festzuhalten, denn durch die Löcher im Bodenblech sah man einfach nur die Straße unter einem dahinrasen.

Ich habe noch niemals zuvor ein Fahrzeug dieser Größe erlebt, das so stabil auf der Straße liegt, insbesondere bei derartigen Geschwindigkeiten. Nichts desto trotz wurde man in den Kurven hin und her geworfen, die Fahrt über die Hügel fühlten sich an, als würden sich einem die Gedärme verknoten.

Wir hatten fast die gesamte Fahrt ein Grinsen im Gesicht, ob aus Todesangst oder des Gefühls wegen, in einer Achterbahn zu sitzen, wissen wir bis heute nicht.

Hinter uns saß ein kleines Mädchen mit ihrer Familie aus Kolumbien, ihr machte die Fahrt nicht ganz so viel Spaß, eine Plastiktüte war ihr ständiger Begleiter.

Dafür saß uns ein älterer Herr gegenüber, der ganz entspannt Zeitung las und vor ihm ein weiterer, der ein Nickerchen machte.

Und das trotz der fast ohrenbetäubenden mexikanischen Musik und des Fahrtwindes der durch die am gesamten Bus geöffneten Fenster blies.

Es war ein Erlebnis, das seines Gleichen sucht und wer gerne in Freizeitparks Achterbahnen fährt, der sollte mal diese Busverbindung in Guatemala ausprobieren. Da hat man ein solches Gefühl ganze zwei Stunden lang!

Durchgeschüttelt, fast taub, mit schmerzendem Gesäß und erschöpft vom Festhalten aber freudestrahlend erreichten wir den Busbahnhof von Antigua Guatemala. Mit noch immer zitternden Knien (vor Anspannung beim Festhalten) nahmen wir unser Gepäck entgegen und machten uns auf unseren Weg zum Hotel.

Auf noch keiner unseren Reisen haben wir jemals erlebt, dass man die Zeit, die Google Maps berechnet auch nur um eine Minute unterbieten kann.

Dieser Chickenbus schaffte es, die errechnete Zeit sogar um 15 Minuten zu schlagen, und das bei 2,5 Stunden Fahrt…

Wir werden noch viele Chickenbusse auf unserer Route erleben, aber keine Fahrt wird sein wie diese erste. Ein Abenteuer das wir nie vergessen werden!

2 Antworten auf „Fahrt mit einem Chickenbus“

Hallo Ihr 3,
nun hat Euch auch das neue Jahr erreicht. Wir wünschen Euch für alle Eure Pläne in 2019 ein gutes Gelingen.
Liebe Grüße aus Bad Dürkheim von Ute und Peter

Vielen lieben Dank für eure Wünsche! Auch wir wünschen euch beiden ein erfolgreiches und reisereiches Jahr 2019!

Viele Grüße zurück in die Heimat!
Sarah, Tim und Elisabeth

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